Hauptmenü
Berufskrankheiten > Wer ist für die wissenschaftliche Begründung von Berufskrankheiten zuständig? > Medizinische Fachgesellschaften: Wissenschaftliche Gesellschaften?
Zuletzt geändert am 16.8.2010
Beispiel 3: Die Propaganda für die Industrie
Vom 16. bis 19. Juni 2010 fand in Dortmund die 50. wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin (DGAUM) statt. Sie wurde, wie in den Jahren vorher, in Kooperation mit dem Verband der Betriebs- und Werksärzte e.V. - Berufsverband Deutscher Arbeitsmediziner -, dem DGUV e.V., dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat e.V. (DVR) sowie dem Verband der Deutschen Sicherheitsingenieure e.V. (VDSI) durchgeführt. Das Hauptthema war Transport und Verkehr. (Hauptprogramm unter http://www.dgaum.de/images/stories/jahrestagungen/DGAUM_Hauptprogramm_2010.pdf).
Eine Besonderheit dieser Veranstaltung des Jahres 2010 war ein Satellitensymposium der Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor e.V. (EUGT), das den Auftakt für die Jahrestagung bildete, so formulierte es jedenfalls der Präsident der DGAUM in seinem Grußwort beim Satellitensymposium. Der Präsident der DGAUM, Prof. Dr. Stephan Letzel, sagte im Rahmen seiner Grußworte Folgendes:
"EUGT - eine unabhängige, von der Industrie unterstützte Forschungsvereinigung - widmet sich dabei mit dem Thema `Umweltrisiken - Wahrnehmung und Realität` der gerade in der öffentlichen Diskussion immer wichtiger werdenden Kommunikation von Umweltrisiken."
Prof. Letzel führte weiter aus:
"Von dem Satellitensymposium erwarte ich gute wissenschaftliche Vorträge und eine lebhafte Diskussion zum Thema `Umweltrisiken - Wahrnehmung und Realität`. Die Veranstaltung wird ein interessanter Auftakt der Jahrestagung der DGAUM sein und ergänzt das Hauptthema `Transport und Verkehr` der Tagung sehr gut. Der Veranstaltung wünsche ich ein gutes Gelingen, interessante Vorträge und eine lebhafte Diskussion."
(nachzulesen unter: http://www.eugt.org/index.php?page_id=234)
Was Prof. Letzel nicht sagte:
Die DGAUM bietet also einem von der Industrie finanzierten Verein eine Plattform zur Präsentation ihrer Interessen.
Ob der Hinweis bei Prof. Merget, einem Beschäftigten des DGUV e.V., auf seine medizinisch-gutachterliche Tätigkeit als ein besonderes Vertrauenszertifikat bei den von ihm begutachteten Versicherten verstanden wird, muss eher bezweifelt werden.
Nicht bekannt ist, ob die Beiträge den Erwartungen von Prof. Letzel entsprochen haben. Die Gründer und Finanzierer der EUGT waren mit diesem Symposium jedenfalls zufrieden. So hat es jedenfalls der Vorsitzende der EUGT, Prof. Dr. Gunter Zimmermeyer, und Lobbyist für die Automobilindustrie gesehen, nachzulesen auf der Internetseite. (unter: http://www.eugt.org/index.php?page_id=231)
Zentrales Thema dieser Satelliten-Veranstaltung war, ob die Risiken bestimmter Technologien richtig eingeschätzt und kommuniziert werden: "Gibt es gesicherte Daten, die eine Wirksamkeit von Umweltzonen belegen? Sprechen Statistiken bei der Bewertung von Risikofaktoren eine eindeutige Sprache? Und: Ist möglicherweise eine Diskussion um Umweltrisiken schädlicher als die Belastungen selbst?" Es ging dabei also einerseits um die Messbarkeit der Feinstaubbelastung in den Innenstädten und Wirksamkeit der eingerichteten Umweltzonen in den Innenstädten zur Verringerung der Feinstaubbelastung. Zum anderen wurde versucht darzustellen, dass die Risiken von neuen Technologien im Verhältnis zu ihrem Nutzen verzerrt erfasst und in die öffentliche Diskussion getragen würden. Hier bezog man sich im besonderen auf die Mobiltelefone und die damit diskutierten Gefährdungen durch elektromagnetische Strahlen.
Die Referate spiegeln sehr deutlich das Interesse der Automobil- und Automobilzulieferindustrie wider.
Gekrönt wurde das Satellitensymposium von dem Referat von Dirk Maxeiner, einem Journalisten mit dem Thema: "Ist die Diskussion um Umweltrisiken gefährlicher als die Risiken?". Er versuchte anhand der Diskussion um die möglichen Gefährdungen durch Mobiltelefone und DDT - dem Pestizid - darzulegen, dass das Konzept einer vorsorgenden Technologiefolgenabschätzung völlig übertrieben und ungeeignet sei. Er kommt zu der Schlussfolgerung: "Eine Gerücht genügt, um eine neue Technologie entscheidend zu behindern oder gar ins Abseits zu befördern."
Und für die Hersteller sieht er die Problematik einer Beweislastumkehr: Sie müssten belegen, dass neue Produkte völlig ungefährlich sein, was überhaupt nicht möglich sei, da von jedem Produkt immer irgendeine Gefahr ausginge. Auf der Seite der EUGT wird über dieses Referat folgendermaßen berichtet:
"Er konstatierte, dass Risikoszenarien oftmals für die Öffentlichkeit inszeniert seien und hinterfragte die These, ob die Kommunikation vermeintlicher Risiken manchmal nicht problematischer sei als das Risiko selbst. Der Wissenschaft riet er daher, den `Kampf um die moralische Lufthoheit´ in der Risikokommunikation aufzunehmen. `Die Wissenschaft muss Panik- und Hysterieszenarien zurückweisen, die nicht auf Fakten beruhen´." ( http://www.eugt.org/index.php?page_id=231)
Dieses Referat ist insofern auch für die gesetzlichen Unfallversicherung von Interesse: Die Behauptung, über Risiken nicht sprechen sei manchmal besser als über die Risiken zu sprechen, widerspricht allen Erfahrungen des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Eine derartige Risikodiskussion ist weder wissenschaftlich fundiert, noch praxisbezogen, sondern ein Skandal. Wissenschaftsjournalismus ist etwas anderes. Wenn die DGAUM derartige konzipierte Satellitensymposien im Rahmen ihrer Jahresveranstaltung akzeptiert, muss sie sich fragen lassen, welches Wissenschaftsverständnis sie pflegt und wie neutral sie ist, oder ob für diese Fachgesellschaft gilt:
"Nicht mehr das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht."
(Alfred Dorfer, österreichischer Kabarettist)
Untermenü